Einschätzung der gegenwärtigen Bürgerbeteiligung1

Aus Planungspraxis - Planen verstehen
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„Formelle Beteiligungsverfahren, z.B. im Rahmen der Bauleitplanung lassen kaum einen Dialog zwischen den BürgerInnen und den kommunalen Entscheidungsträgern zu. Der wichtigste Bestandteil der formellen Bürgerbeteiligung, die öffentliche Auslegung nach § 3 BauGB mit der Möglichkeit, Anregungen zur Planung zu geben, stellt eine Anhörung, jedoch keinen Dialog dar. Die kommunalen Entscheidungsträger, ob seitens der Politik oder seitens der Verwaltung, setzen sich nicht direkt mit den BürgerInnen auseinander, sondern befassen sich in Ausschuss- und Gemeinde- / Stadtvertretungssitzungen mit, in der Regel, schriftlich vorgetragenen Anregungen. Im Rahmen der Beratung im Ausschuss oder Gemeindevertretung erhalten BürgerInnen in der Regel keine Möglichkeit, ihre Standpunkte vorzutragen (auch unter den bestehenden gesetzlichen Regelungen könnten solche Möglichkeiten geschaffen werden: entweder wird die Sitzung unterbrochen und nach Diskussion mit den BürgerInnen fortgesetzt, oder es werden, z.B. nach § 16 GO, BürgerInnen als Sachverständige einbezogen)“. 111 Seite . Denkbar wäre auch, BürgerInnen, die Anregungen und Bedenken im Rahmen der Bauleitplanung schriftlich vorgetragen haben, zu einer Anhörung zu laden, bevor die Entscheidungsträger der Beschlussempfehlung der Verwaltung zustimmen oder die Beschlussempfehlung ablehnen. „Die Verbreitung prominenter ‚neuer Formen’ der Bürgerbeteiligung ist minimal. Planungszellen/ Bürgergutachten gab es bisher nur einige dutzend Male. Ähnlich kommen Bürgerbegehren und Bürgerentscheide im Durchschnitt pro Kommune nur alle 30 Jahre vor und kamen in der Mehrzahl der Kommunen noch nie vor! Skeptische bis negative Einstellung zur Bürgerbeteiligung herrscht bei der Mehrzahl der kommunalen Vertretungskörperschaften und Verwaltungen vor. Gründe sind die Angst vor Machtverlust, aber auch die Angst, kleinen aber lautstarken Minderheiten auf den Leim zu gehen, welche fälschlicherweise in Anspruch nehmen, „die" Bürger zu vertreten: die sogenannten „üblichen Verdächtigen"! In der Tat: Die Bürgerbeteiligung ist bisher „sozial selektiv". Die Mehrheit der Bürger steht abseits. Handlungsbereitschaft Vieler entsteht meist nur dann, wenn eigene Interessen unmittelbar betroffen sind. Eine dauernd wirksame Bereitschaft zur Bürgerbeteiligung besteht bisher nur bei Teilen der gehobenen Mittelschicht („Mittelschicht-Bias"). Die Gefahr, dass durch Bürgerbeteiligung ohnehin Privilegierte noch mehr privilegiert werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Insgesamt gesehen: Anstelle einer Verlebendigung der Demokratie scheint nach wie vor - oder zunehmend - eine „Zuschauerdemokratie" ins Haus zu stehen, in welcher die politischen Eliten zunehmend in einem gefährlich „luftleeren" gesellschaftlichen Raum - man könnte auch sagen: „auf dünnem Eis" - operieren, dessen Belastungsfähigkeit prekär ist.